Lebensdaten des Komponisten
16. Dezember 1770 in Bonn – 26. März 1827 in Wien
Entstehungszeit
Mai bis Dezember 1825
Widmung
Fürst Nikolaus von Galitzin (die Erstveröffentlichung von op. 130)
Erzherzog Rudolph von Österreich (die als op. 133 separat veröffentlichte Große Fuge)
Uraufführung
21. März 1826 durch das Schuppanzigh-Quartett im damaligen Saal des Wiener Musikvereins
»Wenn die Instrumente in den Regionen des Süd- und Nordpols mit ungeheuren Schwierigkeiten zu kämpfen haben, wenn jedes derselben anders figurirt und sie sich […] unter einer Unzahl von Dissonanzen durchkreuzen […], dann ist die babylonische Verwirrung fertig; dann giebt es ein Concert, woran sich allenfalls die Marokkaner ergötzen können«, schimpfte ein Kritiker nach der Uraufführung von Beethovens Streichquartett Nr. 13 in B-Dur. Nach op. 127 und 132 war es das dritte, das im Auftrag des russischen Fürsten Galitzin entstand, und mit jedem dieser drei späten Werke stieß Beethoven ein Stück weiter in Neuland vor. Das konnte man dem genialen Kauz gerade noch verzeihen – aber diese monströse Fuge war einfach unfassbar, so »unverständlich wie Chinesisch«! Auf Zureden seines Verlegers hat Beethoven dann auch ein leichteres Ersatzfinale geliefert. Mit der sogenannten Großen Fuge wollte nun lange Zeit kaum mehr ein Ensemble das Publikum schockieren.
Wie die erhaltenen Skizzen zeigen, geht Beethovens op. 130 überhaupt eine langwierige Genese voraus, wobei die erste Idee wahrscheinlich in dieser Notiz liegt: »Letztes Quartett mit einer ernsthaften und schwergängigen Einleitung«. An sich ist eine solche Einleitung nichts Besonderes, hier aber prägt sie den Verlauf des kompletten ersten Satzes, indem sie wiederholt das schnelle Hauptthema durchkreuzt, das sich als eine Kaskade von Sechzehntelnoten plus Signalmotiv seltsam genug ausnimmt. Das Kontrast-Prinzip der klassischen Musik erfährt so eine unerhörte Zuspitzung. Fast glaubt man, es seien dem Allegro Schnipsel der Einleitung eingeklebt worden. Erst am Ende, wo das »leichtgängige« Hauptthema eine runde Gestalt annimmt, erkennt man, dass diese Zerrissenheit Methode hat.
Die scharfe Konfrontation von Gegensätzen bestimmt auch die Satzfolge des Werkes, wobei Beethoven die übliche Anzahl der Mittelsätze verdoppelt hat. Offenbar wollte er so das Gewicht der kolossalen Schlussfuge ausbalancieren. Die beiden scherzoartigen bzw. tänzerischen Stücke, Nr. 2 und Nr. 4, hat er betont leicht und eingängig angelegt, und diese fanden dann auch, »voll von Muthwillen, Frohsinn und Schalkhaftigkeit«, das Wohlwollen des Kritikers. Das Andante con moto (Nr. 3) wechselt nach dem wiederum »schwergängigen« Beginn überraschend in den leichten, entspannten Tonfall einer Serenade. Dazu passt aber weder die Tonart Des-Dur noch die dicht verflochtene, bisweilen sogar polyphone Stimmführung. Heitere Plauderei oder tiefsinniges Gespräch? Dieser faszinierend kunstvolle Quartettsatz passt in keine Schublade. Der emotionale Höhepunkt des Werkes ist auf jeden Fall die Cavatina (Nr. 5), berühmt als eines der ausdruckstärksten Musikstücke überhaupt. Laut Karl Holz, Mitglied des Schuppanzigh-Quartetts, war Beethoven dabei sehr subjektiv involviert: »Er hat sie [die Cavatina] wirklich unter Thränen der Wehmuth komponirt, und gestand mir, daß noch nie seine eigene Musik einen solchen Eindruck auf ihn hervorgebracht habe«. Gegen Ende artikuliert sich die Erste Geige, in fernes Ces-Dur gerückt, als ob sie stockend und »beklemmt« – so die Spielanweisung – ein innerstes Geheimnis preisgäbe.
Wer noch ganz versunken in die seelenvolle Musik ist, wird sodann mit wuchtigen Tönen aufgeschreckt: Beethoven wirft dem geneigten Hörer das Thema der Großen Fuge geradezu an den Kopf, ein schroffes, spannungsgeladenes Gebilde, welches schon das tonale Empfinden hin- und herreißt. Wie bei Mozart und Widmann signalisieren die Intervalle höchstes Pathos und tiefsten Ernst. Eine ungewöhnliche Overtura stellt das aus zweimal vier Tönen gebildete Thema in vier Varianten vor. Diese liegen dann den einzelnen Teilen zu Grunde. Insofern bildet die Overtura auch einen freundlichen Wegweiser durch das zerklüftete Finale, das eigentlich aus mehreren Fugen besteht.
Die erste (Allegro) tritt gleich mit einem äußerst scharf profilierten Kontrapunkt auf, der sich wie ein eigenes Thema in den Vordergrund drängt. Dazu kommen noch Gegenstimmen in Triolen, so dass sich allein drei rhythmische Schichten ergeben. »Die Fuge ist so schwer«, meinte Primarius Schuppanzigh, »weil es vorzüglich auf Deutlichkeit im haarscharfen Zusammentreffen ankommt.« Beethoven soll auf solche Klagen erwidert haben: »Glaubt Er, daß ich an eine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht und ich es aufschreibe?« Minutenlang geht es wie im Exzess dahin, eine kontrapunktische Tour de force, der fast manische Versuch, eine strenge Fuge durchzuziehen, auch wenn die Themen sich dagegen sperren.
In dem Film Klang der Stille haben nun alle Zuhörer der Uraufführung den Saal verlassen. Ein geistlicher Würdenträger spricht Beethoven an: »Mein Gott, Sie sind ja noch tauber, als ich dachte!« Die historisch unglaubhafte Szene will offenbar veranschaulichen, wie verstörend diese Musik damals wirkte. Dabei wird sie ausgerechnet in dem Moment abgeschnitten, wo die extreme Anspannung sich in einem wunderbar schwebenden Moment des Aufatmens löst.
Der zweite Teil (Meno mosso e moderato) ist eine freiere, lyrisch-melodische Betrachtung über das Thema. Hier herrschen Ruhe und Frieden, wie in einem eigenen langsamen Satz. Was folgt, ist eine Art kurzes Scherzo (Allegro molto e con brio), ebenfalls sehr locker, von spielerischem Charakter. Schnell aber schaltet sich da die wuchtige Themenvariante ein, und es wird abermals ernst: Eine zweite strenge Fuge beginnt, noch kühner und krasser als die erste. Da gibt es ungeheuerliche Kombinationen und Konfrontationen, die Form wird zu einem Reaktor, in dem Teilchen und Energieströme zusammenschießen, um Klänge wie aus der Zukunft zu erzeugen. Beethoven geht es nicht darum, irgendetwas zu zertrümmern: Eher will er Zwänge und Beschränktheit durchbrechen und treibt dafür sich selbst, die Spieler und die Zuhörer an die Grenzen. Höchsten Sinn soll die Kunst stiften, wo er der Welt abhandenzukommen droht, widerstrebende Kräfte sollen konstruktiv gebunden werden. So lässt sich die Große Fuge vielleicht als Utopie verstehen. Musikalisch jedenfalls ist die fragmentierte Welt am Schluss noch einmal gerettet, über dem Thema erheben sich nun Harmonie und Jubel. Ein Happy End. Das scheint sogar den erbosten Kritiker optimistisch gestimmt zu haben: »Vielleicht kommt noch die Zeit, wo das was uns beim ersten Blicke trüb und verworren erscheint, klar und in wohlgefälligen Formen erkannt wird.«