Lebensdaten des Komponisten
Getauft am 17. Dezember 1770 in Bonn – 26. März 1827 in Wien
Entstehungszeit Mitte 1802 – Mitte 1803
Widmung
»Composta per festeggiare il sovvenire di un grand’uomo e dedicata A Sua Altezza Serenissima il Principe di Lobkowitz«
Uraufführung
7. April 1805 im Theater an der Wien in einer Akademie des Geigers Franz Clement unter der Leitung des Komponisten
Das Werk beim BRSO
Erstaufführung: 24./25. Januar 1952 in der Aula der Ludwig-Maximilians-Universität unter Eugen Jochum
Weitere Aufführungen unter Rafael Kubelík, Karl Böhm, Sir Colin Davis, Semyon Bychkov, Lorin Maazel, Bernard Haitink und Mariss Jansons
Zuletzt auf dem Programm: 9./10. Dezember 2021 im Herkulessaal unter Herbert Blomstedt
Es geschah im Jahr 1801, als Beethoven seine Mondscheinsonate vollendete, dass ein junger Mann zu Fuß aus dem nahe Leipzig gelegenen Grimma aufbrach, um seinen Liebeskummer zu vergessen. Er unternahm einen Gewaltmarsch, der bis August 1802 dauerte. 6000 Kilometer legte er dabei zurück – eine Tour de Force, auch wenn er euphemistisch von einem Spaziergang sprach. Der führte ihn bis nach Syrakus. Kaum weniger sensationell als eine solche, »auf Schusters Rappen« zurückgelegte Reise war der Bericht über das Erlebte, den der »Spaziergänger« 1803 veröffentlichte. Denn Johann Gottfried Seume, so hieß der Akteur, zeigte sich hier als Chronist, dem ein sicheres Gespür für die politischen Entwicklungen in Europa zu eigen war. Eindrucksvoll sind seine Schilderungen des postrevolutionären Paris, das Seume auf der Rückreise streifte. So zeichnete er ein widersprüchliches bis negatives Bild Napoleons, dessen Hang zur Tyrannei er scharf rügte. Er bewundere »seinen Scharfblick, seine politische wie militärische Größe«, aber Bonaparte sei »inzwischen absoluter und despotischer als irgendein König von Frankreich«.
1803, das Jahr, in dem Seumes Spaziergang nach Syrakus in Buchform erschien, war auch für Beethoven ein besonderes. Denn er vollendete damals jenes Werk, das sein Image wie kein zweites prägen sollte: die Eroica, seine inzwischen dritte Symphonie. Die Umstände ihrer Widmung gehören seit eh und je zum bildungsbürgerlichen Allgemeinwissen. Anfangs hatte Beethoven seine neue Schöpfung Napoleon zueignen wollen, wenig später aber den entsprechenden Vermerk in der Partitur getilgt. Ob er die Änderung vornahm, weil er Bonaparte, den Kaiser von eigenen Gnaden, als Verräter an der Revolution betrachtete, oder ob er die Eroica aus taktischen Gründen umwidmete, weil er sich durch die neue Adressierung (an seinen Gönner Fürst Lobkowitz) finanzielle Vorteile versprach, sei dahingestellt. Jedenfalls teilte Beethoven Seumes ambivalente Haltung zu Napoleon und hegte für den sächsischen Schriftsteller eine besondere Sympathie. Er besaß nicht nur ein Exemplar des Spaziergangs, sondern zitierte in seinem 1812 eröffneten Tagebuch auch einige Sätze des Reiseberichts. Ja, als Beethoven 1811 den nordböhmischen Badeort Teplitz besuchte, in dem Seume kurz zuvor verstorben war, ließ er es sich nicht nehmen, dessen Grab zu besuchen.
Ein Mensch auf schwerem Weg
Die Entstehungszeit der Eroica, also die Jahre 1802 bis 1803, waren für Beethoven aber auch deshalb weichenstellend, weil er sich damals gründlich mit seiner schleichenden Ertaubung auseinandersetzte und seine Lebensperspektiven auslotete – mit dem Fazit, dass er sein Leid tragen wolle, »dieses elende Leben«, bis er »all das« hervorgebracht habe, wozu er sich »aufgelegt fühle«. Das von Beethoven im sogenannten Heiligenstädter Testament skizzierte Selbstbild trug zweifelsohne Züge des Heroischen, verstand er sich doch als Künstler, der persönliche (aber auch gesellschaftliche) Widrigkeiten überwinden will, um sein Werk zu vollenden. So gesehen kann man Beethovens Testament, hinter dem sich eigentlich ein Brief an seine Brüder verbirgt, als Seitenstück der Eroica deuten, die ja ebenfalls das Schicksal eines Menschen reflektiert, der – aus welchen Gründen auch immer – einen schweren, außergewöhn- lichen Weg zu gehen hat. »Composta per festeggiare il sovvenire di un grand’uomo«, lautet denn auch der Untertitel der Symphonie: »Komponiert, um die Erinnerung an einen großen Mann zu feiern«.
Die Kategorie des Außergewöhnlichen hat Beethoven auf eine Weise umgesetzt, die seine Zeitgenossen in den Bann zog, gelegentlich gar verschreckte. »Ohrenfällig« ist vor allem die ungewöhnliche Dauer der Eroica. Schon die Länge des ersten Satzes (Allegro con brio) muss überrascht haben, entspricht sie doch der einer frühen Haydn- oder Mozart-Symphonie insgesamt. Unfassbar, unbegreiflich erschien den Hörern aber auch die eigenartige Sogwirkung der Symphonie, die ihnen förmlich den Atem raubte. Nicht von ungefähr bat 1807 ein Rezensent der in Leipzig erscheinenden Allgemeinen musikalischen Zeitung, man möge doch nach dem zweiten Satz, dem Trauermarsch, eine »stille, feyerliche Pause von einigen Minuten« einfügen.
Akkorde mit Sprengkraft
Außergewöhnlich sind aber nicht nur Rahmen wie Dramaturgie der Eroica, exzeptionell sind auch zahlreiche ihrer Details – etwa gleich die eröffnenden Akkorde. Sie zertrümmern gewissermaßen die musikalischen Restbestände des Absolutismus. Denn sie fegen die langsame Einleitung der sogenannten »Französischen Ouvertüre« hinweg, die Jean-Baptiste Lully am Hof von Sonnenkönig Ludwig XIV. etabliert hatte. Haydn hatte dieser festlichen, meist von punktierten Rhythmen durchwirkten Einleitung noch in seinen Londoner Symphonien gehuldigt. Jetzt, nur wenige Jahre später, mit der wirkungsmächtigen Eroica, scheint sie bereits einer versunkenen Welt anzugehören, wirkt sie veraltet wie eine höfische Perücke.
Querständig zur Konvention zeigt sich Beethoven aber auch in der Behandlung des thematischen Materials. Nach den beiden Einleitungsakkorden beginnt in den Celli eine dreiklangsmelodisch geprägte, den Ton ›C‹ umkreisende Phrase. Sie mündet alsbald in einem ›Cis‹. Es stellt nicht nur die Grundtonart Es-Dur infrage, sondern bestimmt als Moment der Verunsicherung und Destabilisierung auch den weiteren Verlauf des Allegro con brio überschriebenen Kopfsatzes. Denn Themen im Sinn einer festumrissenen Kontur, beispielsweise eines aus jeweils vier Takten bestehenden Gebildes, sucht man vergebens. Vielmehr wohnt der Hörer einem Prozess unablässiger Veränderungen bei, der für ständige Spannung sorgt. Das relativ kurze zweite Thema, den Seitensatz, führen dieHolzbläser ein, Flöte, Oboe, Klarinette und Fagott – mit blockhaften Akkorden, die sich jedoch unversehens in stufenmelodische Wendungen auflösen. Synkopierende Sforzati bringen gegen Ende der Exposition das metrische Grundmuster (den Dreiviertel-Takt) ins Wanken. Der Wiederholung der Exposition folgt eine Durchführung, die das bislang Gehörte kaleidoskopartig bricht und immer wieder neu zusammensetzt. Besonders auffällig mutet hier ein Abschnitt an, den beinahe 50 Sforzati interpunktieren: Das Prozesshafte, das dynamisch Drängende scheint sich zu stauen, bevor es sich in einem dritten Thema, das dem Zwiegesang der Oboen überantwortet ist, freundlich auflöst. Über den Tremoli der hohen Streicher leitet das Horn mit dem verkürzten Dreiklangsmotiv des Satzbeginns alsbald die Reprise ein – eine irritierende Aktion, die wie ein falscher Einsatz klingt, weil die Celli unmittelbar mit der kompletten Phrase folgen.
Überhöhung eines Marsches
Außergewöhnlich ist auch der zweite Satz, eine Marcia funebre c-Moll im Tempo eines Adagio assai. Denn sie steht am Beginn einer langen, bis ins 20. Jahrhundert reichenden Tradition, die symphonische Architektur durch Märsche oder Marschhaftes zu bereichern, man denke nur an Hector Berlioz und seinen Marche au supplice in der Symphonie fantastique oder die entsprechenden Charaktere bei Gustav Mahler. Die Kommentatoren verweisen meist auf die Tatsache, dass Beethovens »Trauermarsch« an die Usancen der Französischen Revolution erinnert, gefallene Helden mit einer festlichen Musik zu ehren. Die anfänglichen Rollfiguren in den Kontrabässen untermauern diese Verwandtschaft, ebenso die vielen trommelhaften Tonrepetitionen. Beethoven übernimmt das Muster eines zeremoniellen Marsches, aber keinesfalls eins zu eins. Er überhöht ihn vielmehr, etwa indem er ihm durch die Fugato-Strukturen des C-Dur-Mittelteils eine sakrale Aura verleiht oder aber durch heftige Ausbrüche für eine Emotionalität sorgt, die sich mit ritueller Würde nur schlecht vereinbaren lässt.
Scherzo in Champagnerlaune
Beethovens Vorstoß in neue, bis dahin nicht erahnte Dimensionen lässt sich ebenfalls am dritten Satz ablesen, einem Allegro vivace untertitelten Scherzo. Auch ihn kann man als Absage an den Geist des Absolutismus verstehen. Denn mit seinem Vorläufer, dem galant-zierlichen Menuett, dem Lieblingstanz des Sonnenkönigs, hat es kaum noch etwas gemein. Vor allem durch sein rasantes Tempo versetzt es in Champagnerlaune, eignet ihm etwas Ekstatisches. Dem rasanten Treiben gebietet das Trio, der Mittelteil des Scherzos, Einhalt. Es wartet – erstmals in der Geschichte der Symphonie – mit dem prächtigen Klang dreier (!) Hörner auf. Sie verstehen es, den Raum zu öffnen, atmen Weite und zaubern eine Atmosphäre von Freiheit und Frische herbei.
Steigerungswellen und Themenapotheose
Der »Schluss«, so der anfangs erwähnte Rezensent der Allgemeinen musikalischen Zeitung, »vereinigt nochmals alles, was ein gut besetztes Orchester an Leben, Fülle und Energie geben kann; er ist ein wahrer Jubel aller Instrumente, der den Zuhörer ergreifen, begeistern, fortreissen muss.« Doch ist es nicht nur die klangliche Opulenz, die das Finale auszeichnet. Das Allegro molto, hinter dem sich ein aufgelockerter Variationensatz verbirgt, weiß auch durch seine Steigerungswellen und den Reichtum seiner Texturen zu begeistern. Ein mächtiges Unisono, das in wuchtige Akkorde mündet, bildet den Anfang. Ihm folgt, im Pizzicato der Streicher, zunächst der Bass des Themas, dann das anmutige Thema selbst: vorgetragen von den Holzbläsern. Es ist allerdings weit mehr als eine rein musikalische Figuration, sondern ein versteckter Hinweis auf Napoleon.
Beethoven hatte das tänzerische Thema nämlich aus seinem 1801 uraufgeführten Ballett Die Geschöpfe des Prometheus übernommen, das wiederum eine Eloge auf Bonaparte war. Denn bevor sich dieser zum Kaiser hatte krönen lassen (1804), sah man in ihm einen Freiheitskämpfer – dem griechischen Halbgott Prometheus vergleichbar, der den Menschen einst die Kultur geschenkt hatte. Beethovens den Idealen der Revolution verpflichtete Haltung offenbart sich außerdem in einem von ihm begründeten symbolischen Kunstgriff, der sogenannten Themenapotheose. Sie kommt gegen Satzende zum Tragen, wenn das »Napoleon«-Thema im Fortissimo, unterstützt von Hörnern und Pauken, seine größte Strahlkraft entfaltet: Als habe derKomponist bekunden wollen, dass die Revolution dereinst siegen und er selbst das ihm auferlegte Schicksal letztendlich meistern würde.