musica viva
Die musica viva des Bayerischen Rundfunks ist eines der weltweit bedeutendsten Foren der Gegenwartsmusik. Diese zukunftsorientierte Konzertreihe für zeitgenössische Musik präsentiert neue Orchester- Ensemblewerke und avancierte kammermusikalische Kompositionen experimentellen Charakters auf höchstem Niveau.
Rückblick – Die Geschichte der musica viva
Die Geschichte der musica viva beginnt am 7. Oktober 1945, fünf Monate nach dem Ende eines verheerenden Krieges. Im ungeheizten Münchner Prinzregentheater, vor einem Häufchen neugieriger Zuhörer, erklingen drei Orchesterwerke, denen man in den zwölf Jahren des Nationalsozialismus nicht begegnen konnte: »Ibéria« von Claude Debussy, die »Lustspiel-Ouvertüre« von Ferruccio Busoni und die Vierte Sinfonie des Juden Gustav Mahler.
Verantwortlich für das Programm ist der damals vierzigjährige Komponist Karl Amadeus Hartmann. Während der Jahre der Naziherrschaft hat er seine Werke, Dokumente eines unbeugsamen inneren Widerstands, für die Schublade geschrieben. Nun ist er, unterstützt von der amerikanischen Militärverwaltung, Dramaturg an der Bayerischen Staatsoper geworden und hat in dieser Funktion die neue Konzertreihe ins Leben gerufen. Ihre Aufgabe es ist, den zuvor verfemten Komponisten und ihren Werken wieder eine Öffentlichkeit zu verschaffen.
Die materielle Basis ist in den ersten Jahren wacklig, die Konzerte wandern von einem Saalprovisorium zum andern. Das ändert sich, als 1948 der Bayerische Rundfunk – damals noch »Radio München« – die Trägerschaft übernimmt.
Schon im Jahr zuvor hat die Konzertreihe den Namen musica viva angenommen und nun gibt es ein festes Orchester, einen Chor und eine gesicherte Finanzierung. 1953 wird der Herkulessaal der Residenz zum dauerhaften Veranstaltungsort. Diese Konstellation hat sich bis heute bewährt, wobei die enge Verbindung mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks einen entscheidenden Stabilitätsfaktor darstellt.
Nach einer ersten Phase, in der die Rekonstruktion der Traditionslinien im Zentrum steht, verlagert sich der Schwerpunkt der Programme zunehmend auf das gegenwärtige Schaffen und auf Uraufführungen. Internationalität ist vorrangig, der Nachwuchs von Henze bis Nono wird vorgestellt, Komponisten wie Strawinsky, Hindemith, Milhaud und Boulez treten als Dirigenten auf, renommierte Künstler entwerfen für die Programmhefte die Titelgrafiken. »Aufgabe der Veranstaltungen ist es, dem Publikum eine Überschau über die geistige und künstlerische Entwicklung der Gegenwart zu geben«, lautet Hartmanns Maxime. Als er 1963 stirbt, ist die musica viva eine international beachtete Konzertreihe mit einem treuen Stammpublikum.
Ästhetische Gegensätze
Hartmanns Nachfolger, der Komponist Wolfgang Fortner und Ernst Thomas, damals Leiter der Darmstädter Ferienkurse, führen diese Linie zunächst fort. Angesichts der Zuspitzung der ästhetischen Gegensätze um 1970 sehen sie sich zu Neuerungen genötigt und lassen erstmals auch experimentelle Tendenzen wie die Klangaktionen von Josef Anton Riedl zu, ein Spannungsverhältnis, das erhalten bleibt, als 1978 mit Jürgen Meyer-Josten, dem Hauptabteilungsleiter Musik des BR, erstmals ein Rundfunkmitarbeiter die Programme verantwortet. Das ästhetische Spektrum geht nun hörbar in die Breite – eine Reaktion auf die Aufsplitterungstendenzen der Postmoderne.
Eine neue, künstlerisch geprägte Perspektive kommt 1997 zum Tragen, als mit Udo Zimmermann wieder ein Komponist zum Leiter der musica viva ernannt wird. Unterstützt von den Programmkuratoren Josef Anton Riedl und Winrich Hopp verhilft er mit gezielten Aufträgen an die Komponistenzeitgenossen und mit großen Werken von Stockhausen, Xenakis und Schnebel den Orchesterkonzerten zu neuer Dynamik. Außerdem werden Sonderveranstaltungen mit renommierten Gastensembles und experimentelle Studiokonzerte Bestandteil des Programm.
Winrich Hopp, der 2011 die Leitung der musica viva übernimmt, erweitert dieses Konzept seither Schritt um Schritt. Zu den zukunftsträchtigen Neuerungen gehören die Realisierung von komplexen Großprojekten wie die Oper Samstag aus Licht von Stockhausen im Jahr 2013, die Vernetzung mit Orchestern, Ensembles und Veranstaltern des internationalen Musiklebens und nicht zuletzt die verstärkte Einbindung des Chores und des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks in künstlerischen Ausnahmeprojekten.