Sir Colin Davis
Chefdirigent von 1983 bis 1992
Mit Auszeichnungen überhäuft, zum Ritter des Britischen Königreichs geschlagen, gilt Colin Davis als der »Gentleman-Dirigent« schlechthin. In seiner neunjährigen Amtszeit lernte das bayerische Konzertpublikum den dritten Chefdirigenten des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks kennen und lieben.
Mit Davis hatte das Orchester wieder einen Chef von Format: ein weltweit renommierter und leidenschaftlicher Musiker und als Mensch sehr liebenswürdig, völlig uneitel und von distinguierter feiner Art. Mit Beethovens »Missa solemnis« setzte er 1983 einen glanzvollen Auftakt für seine Münchner Zeit. Chor und Orchester hatten sich lang nach dem neuen Chef gesehnt, denn das Amt war seit dem Ende der Kubelík-Ära 1979 verwaist. 1981 war der designierte Chefdirigent Kyrill Kondraschin gestorben, bevor er seine Stellung antreten konnte.
Colin Davis präsentierte sich nicht nur als exzellenter Anwalt der Wiener Klassik sowie der Musik englischer Komponisten, insbesondere von Edward Elgar, Michael Tippett und Ralph Vaughan Williams. Dem Münchner Publikum brachte er außerdem die Werke Berlioz’ und Sibelius’ näher, die hierzulande längst nicht so etabliert waren wie im angloamerikanischen Raum.
1989: „Regensburger Frühling“ im Regensburger Dom.
In den neun Jahren seiner Stabführung festigte Davis die Weltgeltung des Symphonieorchesters. Neben rund 35 öffentlichen Auftritten jährlich standen ausgedehnte Tourneen durch die USA und Japan sowie Rundfunk- und Plattenproduktionen auf dem Programm. Über seine regulären Aufgaben als Chefdirigent und die Hauptwirkungsstätte München hinaus, engagierte sich Davis auch für andere Regionen Bayerns: Er blickt nach Hof, Würzburg, Passau und Augsburg und zeigte den Menschen dort, dass das Symphonieorchester nicht bloß für die Menschen der Landeshauptstadt da sein sollte. Dabei hob er die Festivals »Regensburger Frühling« und die »Sommerkonzerte zwischen Donau und Altmühl« aus der Taufe.
Auch konnte Davis sich dafür begeistern, Nachwuchs zu fördern. Er erarbeitete im Rahmen der neu gegründeten »BR-Orchesterakademie Ingolstadt« mit Schülern und Studenten symphonische Werke. Damit war er einer der ersten großen Dirigenten, die sich der musikalischen Jugendarbeit widmeten.
Im Mai 1992 verabschiedete sich Davis von seinen Münchner Musikern – so, wie er auch begonnen hatte: mit einer vom Publikum und Presse umjubelten Aufführung der »Missa solemnis«. Ein Jahr darauf verlieh das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks Colin Davis die Karl Amadeus Hartmann-Medaille und zeigte ihm damit Verbundenheit und Wertschätzung.
Colin Davis kam 1927 in Weybridge in England zur Welt. Seine Eltern waren zwar Musikliebhaber, doch in der Familie mit sieben Kindern gab es weder Platz noch Geld für ein Klavier. Nachdem er als Dreizehnjähriger Beethovens 8. Symphonie auf Schallplatte gehört hatte, fasste Davis einen Entschluss: er wollte Musiker und Dirigent werden. Doch weil Davis nicht Klavier spielen konnte, wurde ihm der Zugang zur Dirigierklasse des Royal College of Music verweht. Stattdessen studierte er Klarinette. Keine besonders guten Startbedingungen für eine Karriere als Maestro. »Wie ich das geschafft habe, Dirigent zu werden, weiß ich selbst nicht«, reflektierte er später. Doch mit Willenskraft und festem Glauben an seinen Traum, gab Davis das Dirigieren nicht auf. Ohne feste Anstellung hielt er sich acht Jahre über Wasser – bis er bei einem kleinen Ensemble die Möglichkeit bekam, Mozart-Opern zu leiten. Eine gute Schule, sagte Davis hinterher, denn »Mozart lehrt einen Menschen im Hinblick auf die Musik wirklich alles, was er nur überhaupt lernen kann.«
Es folgte die erste Festanstellung als Assistent beim BBC Scottish Orchestra und schließlich der Durchbruch: 1958 sprang Davis für keine geringeren als Otto Klemperer in »Don Giovanni« und zwei Jahre später für Sir Thomas Beecham in der »Zauberflöte« ein und konnte damit seine ersten richtig großen Erfolge verbuchen. Das Talent und die große Musikalität des dirigentischen »Autodidakten« hatte sich herumgesprochen. Er avancierte zum Musikdirektor der Sadler’s Wells Opera in London.
Nach weiteren Stationen, unter anderem als Chefdirigent des BBC Symphony Orchestra, übernahm er 1971 in der Nachfolge von Sir Georg Solti das Amt des Musikdirektors am Royal Opera House Covent Garden in London. Nach seiner neunjährigen Chefposition bei Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks hatte er von 1995 bis 2007 die Leitung des London Symphony Orchestra inne. Als Gastdirigent arbeitete Davis zuletzt unter anderem bei der Staatskapelle Dresden als erster Ehrendirigent in der 450-jährigen Geschichte des Orchesters, beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und seit 1998 als »Principal Guest Conductor« des New York Philharmonic Orchestra.
Colin Davis legte zahlreiche preisgekrönte Schallplatten-Aufnahmen vor, darunter Verdis »Falstaff«, Brittens »Peter Grimes« sowie sämtliche Symphonien von Jean Sibelius, die er gleich mehrmals einspielte. Zu seinen jüngsten CD-Veröffentlichungen mit dem London Symphony Orchestra zählen Aufnahmen von Berlioz’ »L’enfance du Christ« und »Benvenuto Cellini«, Händels »Messiah«, Mozarts »Requiem«, Tippetts »A Child of Our Time« sowie Werken von James MacMillan.
Sir Colin Davis starb am 14. April 2013 nach längerer Krankheit im Alter von 85 Jahren in London.