Lebensdaten des Komponisten
3. Februar 1809 in Hamburg – 4. November 1847 in Leipzig
Entstehungszeit
1845
Uraufführung
Unbekannt, vermutlich erst nach Mendelssohns Tod
Bereits unter Felix Mendelssohn Bartholdys frühen Werken findet sich ein Streichquintett in A-Dur op. 18 aus dem Frühjahr 1826. Der Komponist war damals gerade 17 Jahre alt und hatte sich bereits in der Musikszene der preußischen Hauptstadt Berlin etabliert. Dort wuchs er auf, und dort veranstaltete seine Familie regelmäßig sogenannte Sonntagsmusiken im eigenen Haus. Nach dem Umzug ins Palais von der Recke in der Leipziger Straße erhielten diese Konzerte im rückliegenden Gartensaal einen noch glanzvolleren Charakter. Felix und seine Schwester Fanny traten dort auf, oft unterstützt von professionellen Ensembles. So konnten Solowerke, Kammermusik und sogar Orchesterwerke gegeben werden, und die Prominenz der Berliner Kulturszene kam gerne, um diesen Veranstaltungen beizuwohnen.
Knapp zwanzig Jahre nach seinem ersten Streichquintett schrieb Mendelssohn im Sommer 1845 ein zweites Werk für diese Besetzung, sein op. 87, das am heutigen Abend zur Aufführung kommt. Mendelssohn war zu einem der berühmtesten Komponisten Deutschlands aufgestiegen, wirkte als Leipziger Gewandhaus-Kapellmeister und Königlich Preußischer Kapellmeister. Außerdem war er Gründungsvater des Leipziger Konservatoriums, das heute seinen Namen trägt. Wieso beschäftigte er sich erneut mit der Gattung? Regte ihn sein Leipziger Konzertmeister Ferdinand David dazu an, wie oft behauptet wurde? Oder fehlte Mendelssohn einfach noch ein reifes Streichquintett in seinem Werkkatalog? Zweifelsohne reizte ihn die Besetzung mit zwei Bratschen nach wie vor, die neben Mozart auch Ludwig van Beethoven so hervorragend bedacht hatte.
Bei Beethoven setzt Mendelssohn an, wenn er die orchestralen Aspekte der Besetzung hervorhebt. Auch sein Quintett liebt weite Bögen und eine oft pastose Farbpracht. Diese Musik reißt sofort mit. Sie ist aber auch deshalb ein so spannendes Hörerlebnis, da wirklich alle fünf Streichinstrumente eigenständig und höchst vielfältig eingebunden sind. Nicht nur die Violinen gestalten die Musik, sondern auch die beiden Bratschen und das Violoncello – so im von zitternden Streicherbewegungen und treibenden Spielfiguren geprägten Kopfsatz (Allegro vivace). Die Stimmung ist aufgeladen. Nicht an die kleine Kammer, sondern an den großen Konzertsaal muss Mendelssohn bei dieser Musik gedacht haben.
Eine Liebe zum »großen romantischen Ton« hört man dem dritten Satz an, einem weitgespannten Adagio e lento. Orchestriert hätte es sicher auch in einer Symphonie seinen Platz finden können. Die Musik vereint Melancholie mit Pathos und innerer Unruhe – auch hier dunkeln die Bratschen den Klang geschickt ein. Auf raffinierte Rhythmik und Kontrapunktik setzen hingegen die Sätze zwei und vier. Dadurch erhält das Werk einen »gelehrten« Charakter, wie es im Jargon der Zeit hieß. Der zweite Satz, ein in Moll stehendes Allegretto scherzando, erinnert zudem an ein Charakterstück.
Ob dieses Streichquintett zu Mendelssohns Lebzeiten jemals öffentlich erklang, ist unwahrscheinlich. Mit dem Finale war er offenbar nicht zufrieden und verzögerte deshalb den Druck. Wie so häufig wollte der Perfektionist Mendelssohn sein Werk in den nächsten Jahren noch einmal überarbeiten, sein tödlicher Schlaganfall am 4. November 1847 verhinderte dies allerdings.
Nach seinem Tod erschien das Werk mit gravierenden Änderungen des Komponisten und Dirigenten Julius Rietz, dem Bruder von Mendelssohns früherem Geigenlehrer. Die Eingriffe waren gut gemeint, dürften aber kaum den Willen des Autors widerspiegeln. Erst eine »Urtext«-Ausgabe des Henle-Verlags machte 2010 die ursprüngliche Gestalt des Quintetts op. 87 wieder zugänglich. Nach dieser Partitur wird es im heutigen Konzert aufgeführt. Gerade in dieser unretuschierten Fassung erlebt man jene »Wahrheit des Ausdrucks« in Mendelssohns Musik, von der der Komponist Max Reger schwärmte.