Lebensdaten des Komponisten
8. Dezember 1890 in Polička, damals Ostböhmen in Österreich-Ungarn – 28. August 1959 in Liestal (Schweiz)
Entstehungszeit
März/April 1952
Uraufführung
19. Februar 1953 mit Jascha Veissi und dem Cleveland Orchestra unter George Szell
Das Werk beim BRSO
Erstaufführung
Auch wenn Bohuslav Martinů im Laufe seines Lebens die unterschiedlichsten musikalischen Einflüsse aufsog, sich von der Polyphonie der englischen Madrigalisten und dem barocken Concerto grosso ebenso inspirieren ließ wie von der die Grenzen der Tonalität auslotenden Musik Schönbergs und dem Impressionismus Debussys, so zieht sich die Liebe zu seiner Heimat doch als Konstante durch sein Schaffen. Martinů betonte oft, dass sein Werk »immer tschechisch und mit der Heimat eng verbunden« sei und »ein wenig der Bejahung und des glücklichen Lebens« wiedergebe, das er in seiner Kindheit und frühen Jugend dort genoss.
Das 1952 entstandene Rhapsody-Concerto für Viola und Orchester markiert den Beginn von Martinůs letzter Schaffensphase, in der er sich nach Jahren des Experimentierens mit barocken Formen und (neo-)klassischen Ausdrucksmitteln einer freieren Tonsprache und einer fast romantisch anmutenden Melodik zuwandte, »eine Rückkehr aus der Geometrie zurück zur Phantasie«, wie er es nannte. Da das Werk mit seinen zwei Sätzen und seiner zwanglosen Arbeit mit Themen nicht die formale Klarheit von Martinůs früheren Konzerten aufweist, fügte er dem Titel das Wort Rhapsody hinzu – das elegische Melos, das durch die Musik hindurchscheint, deutet auch auf den tschechischen Volkston hin.
Von Geburt an war Martinů quasi der Welt entrückt: Er wurde am 8. Dezember 1890 hoch über den Dächern des böhmischen Städtchens Polička geboren, im Turmzimmer der dortigen St. Jakobskirche, von wo aus sein Vater Brandwache hielt. Dort wohnte er als Kind, und aus diesem abgeschiedenen Refugium blickte er auf die Dinge herab, auf der einen Seite nach Böhmen, auf der anderen nach Mähren. »Ich glaube, dieser Raum ist einer der stärksten Eindrücke aus meiner Kindheit, ich suche in meinen Werken immer danach«, schrieb Martinů später. Dort habe er das Gefühl gehabt, »völlig von der Welt abgeschnitten zu sein«. Damit verteidigte er auch eine gewisse innere Distanz, die sich gerade im streng formalen Aufbau vieler seiner Werke niederschlägt. Martinů begann seine Ausbildung am Prager Konservatorium, ging dann aber nach Paris, um bei Albert Roussel zu studieren, und nahm dort alle wichtigen musikalischen und künstlerischen Strömungen der Zeit in sich auf. »Was ich bei ihm suchte, war Ordnung, Klarheit, Maß, Geschmack, genauen, empfindsamen, unmittelbaren Ausdruck. Kurzum: die Vorzüge der französischen Kunst.«
1941 emigrierte er in die Vereinigten Staaten und kehrte erst 1953 wieder vollständig nach Europa zurück. Seine Hoffnung, sich wieder in seinem Heimatland niederlassen zu können, wurde jedoch durch den Kommunismus in der Tschechoslowakei zunichte gemacht. So lebte er abwechselnd in Paris, Nizza, Rom und später in der Schweiz, wo er 1959 starb. Erst 1979 wurden seine sterblichen Überreste zurück nach Polička gebracht.
»Ohne Schönheit wäre Musik nicht der Mühe wert«
In den USA spielten mehrere bedeutende Orchester seine Werke, und insbesondere Serge Koussevitzky, Musikdirektor des Boston Symphony Orchestra und Gründer des Festivals in Tanglewood, wurde zu einem Förderer des mehr und mehr zu Berühmtheit gelangenden Komponisten und seiner Musik. Martinů verstand sich nie als Avantgardist, und Amerika habe seine Rückkehr zu den »klassischen Prinzipien der Tonkunst« noch beschleunigt, sagte er einmal. »Ich habe, wenn ich aus einem Konzert gehe, oft das Gefühl, […] dass wahre Schönheit verschwunden ist, dass die Schönheit der Musik in Vergessenheit geraten ist, dass die Musik schön sein muss, sonst wäre sie nicht der Mühe wert.«
Diesen Anspruch verwirklichte er während seiner neoklassischen Phase und verfolgte ihn auch später weiter, als er sich – beginnend mit dem Rhapsody-Concerto – wieder jener impressionistisch gefärbten Klangwelt zuwandte, die er während seiner Studien in Paris kennengelernt hatte. Somit bringt dieses zwischen dem 15. März und dem 18. April 1952 und damit ein knappes Jahr vor seiner Rückkehr nach Europa komponierte Werk einerseits eine grüblerische Rückschau auf seine Zeit in Amerika zum Ausdruck, andererseits spricht aus ihm auch eine große Nostalgie gegenüber der alten und mittlerweile verlorenen Heimat Tschechien.
Das Konzert entstand auf Bestellung des in der Ukraine geborenen und in Amerika lebenden Bratschisten Jascha Veissi. Dieser war zunächst Geiger im Cleveland Orchestra, dann Bratschist im San Francisco Symphony Orchestra und Mitglied des legendären Kolisch-Quartetts, das sich insbesondere für zeitgenössische Musik einsetzte. Später startete Veissi eine Karriere als Solist und bestellte dafür bei Martinů ein Konzert, das er schließlich am 19. Februar 1953 zusammen mit dem Cleveland Orchestra unter George Szell uraufführte und mehrfach in den USA und Europa spielte.
Wie der Klang der menschlichen Stimme
Das Werk ist überwiegend in mäßigem Tempo gehalten und von zartem Lyrismus durchzogen. Im ersten, mit Moderato überschriebenen Satz setzt nach einer ausgedehnten Orchestereinleitung die Bratsche mit einer sehnsuchtsvoll singenden Melodie ein, die zwischendurch zu scherzhaft springenden, virtuosen Passagen weitergesponnen wird, aber immer wieder zu ihrem elegischen Grundcharakter zurückkehrt. Der Klang von Veissis Instrument – eine Bratsche aus dem 16. Jahrhundert von Gasparo da Salò aus Brescia – faszinierte Martinů, da er ihn an die menschliche Stimme erinnerte. Für dieses Instrument schrieb er seine kantablen Linien im Stil eines schlichten Volksliedes.
Im anfänglichen Molto adagio des zweiten Satzes werden zunächst düstere Töne angeschlagen, darauf folgt ein längerer schneller Teil (Allegro), in dem Martinů in diesem ansonsten friedvollen und sanften Werk für einen kurzen Moment auch Reibungen erzeugt. Am Ende spielt die Bratsche jedoch in einer Coda eine bewegende Melodie, die zuvor in diesem zweiten Satz bereits angeklungen ist, so dass das Werk im inneren Frieden schließt. Und wenn sich in die allerletzten Takte ganz leise und dezent wie von ferne der Klang einer kleinen Trommel mischt, evoziert Martinů damit erneut seine weit zurückliegende, harmonische Kindheit, die er auf dem Kirchturm seines Geburtsortes Polička verbracht hatte. Nach seinen eigenen Erinnerungen sei er dort nämlich immer Trommel spielend auf der äußeren Galerie um den Turm herumgegangen. Wie in vielen von Martinůs Werken steckt also auch im Rhapsody-Concerto ein Stück der Biographie eines Komponisten, der sich im amerikanischen Exil auf die Suche nach seinen Wurzeln begeben hat und der mit den Worten seiner Ehefrau Charlotte »in jedem seiner Werke ein Stück Himmel enthüllt« habe.