Lebensdaten des Komponisten
22. Mai 1813 in Leipzig – 13. Februar 1883 in Venedig
Entstehungszeit
Konzeption der Oper im Herbst 1854, Komposition von 1857 bis August 1859
Uraufführung
Das Vorspiel allein am 25. Januar 1860 in Paris, gekoppelt mit dem orchestralen Liebestod am 26. Februar 1863 in St. Petersburg, beides unter der Leitung des Komponisten. Das komplette Werk am 10. Juni 1865 in München unter der Leitung von Hans von Bülow
Das Werk beim BRSO
Erstaufführung: 7./8. Dezember 1961 im Herkulessaal unter Rafael Kubelík
Weitere Aufführungen unter Iván Fischer, Lorin Maazel, Mariss Jansons und Daniele Gatti
Zuletzt auf dem Programm: 12./13./14. Mai 2016 in der Philharmonie im Gasteig unter Herbert Blomstedt
Eine junge Frau öffnet die Augen, langsam, wie gelähmt von der Depression, die ihr ins Gesicht geschrieben steht. Dazu erklingt der berühmte Tristan-Akkord, und während der Schmerzensklang vergeblich nach Auflösung tastet, fallen, noch immer ganz langsam, tote Vögel vom Himmel. Eine riesige Sonnenuhr wirft zwei Schatten, ebenso die Bäume eines gezirkelten Schlossparks. Als wäre das nicht rätselhaft genug, öffnet sich plötzlich der Blick ins nachtschwarze All, beherrscht von einem riesigen, fremdartigen Planeten, der sich der Erde nähert. Mit inniger Wärme singen die Violoncelli das Liebesthema … So beginnt Lars von Trier seinen Film Melancholia (2011). Richard Wagners Vorspiel zu Tristan und Isolde dient als Soundtrack, nein, sogar als akustisches Trägermedium der traumgleichen Bilder. Es ist wirklich erstaunlich, wie gut die Musik in den völlig anderen Kontext passt! Wagner hätte wohl nichts gegen die Verwendung gehabt, handelt Melancholia doch von nichts Geringerem als dem Weltende …
Wenn sich Wagner an ein Bühnenwerk macht, geht er immer aufs Ganze. Was der Stoff an Gefühlen, Gedanken und Bezügen bietet, wird in einen weltumspannenden und philosophisch fundierten Zusammenhang gestellt, bis in feinste Verästelungen ausgearbeitet und emotional ausgereizt ins Extrem. Das ist für die Zuhörer, die dazu vier Stunden still sitzen müssen, recht anstrengend – aber auch eine tiefgreifende Erfahrung, die über einen normalen Opernbesuch hinausgeht. So begnügt sich Wagner nicht, einfach die mittelalterliche Liebesgeschichte von Tristan und Isolde zu vertonen. Um die Liebe an sich, die absolute, ideale und metaphysisch begründete Liebe geht es, gegen den Rest der Welt und bis in die letzte Konsequenz. »Da ich nun aber doch im Leben nie das eigentliche Glück der Liebe genossen habe, so will ich diesem schönsten aller Träume noch ein Denkmal setzen, in dem vom Anfang bis zum Ende diese Liebe sich einmal so recht sättigen soll: ich habe im Kopfe einen Tristan und Isolte entworfen, die einfachste, aber vollblutigste musikalische Conception; mit der ›schwarzen Flagge‹, die am Ende weht, will ich mich dann zudecken um – zu sterben.«
Gewohnt theatralisch weihte Wagner im Dezember 1854 Franz Liszt in seinen Plan ein. Die Vollendung des Rings des Nibelungen stand in weiter Ferne, und mit einer dazwischengeschobenen Oper hoffte Wagner, derzeit Asylant in Zürich, Geld in seine chronisch leere Kasse zu bekommen. Unbefriedigend war auch seine eigene Liebesgeschichte mit der jungen Kaufmannsgattin Mathilde Wesendonck. Dabei hatte es so vielversprechend begonnen: »Ein feuchtglänzendes Frauenauge durchdringt mich oft wieder mit neuer Hoffnung.« Aber wie bei Tristan und Isolde standen die ehelich-gesellschaftlichen Verhältnisse der Beziehung entgegen. Erst als die Wagners im Frühjahr 1857 in das Gartenhäuschen neben der Villa Wesendonck zogen, kam es zu einer heißen Phase. Seine Frau Minna glaubte Wagner abgelenkt: »Namentlich nimmt ein Gemüsegarten ihre Sorge in Beschlag.« Wagner begann mit der Arbeit am Tristan.
»Nun weiß ich, wenn der letzte Morgen seyn wird – wenn das Licht nicht mehr die Nacht und die Liebe scheucht – wenn der Schlummer ewig und nur ein unerschöpflicher Traum seyn wird.« Die Hymnen an die Nacht von Novalis (1800) gehören zu den Gründungsdokumenten der deutschen Romantik, und Wagner dienten sie dazu, der Handlung eine mystische Tiefe zu geben: Tristan und Isolde weihen sich dem »Wunderreich der Nacht« als einer dem »öden Tag« entrückten Gegenwelt. Eine etwas weniger romantische, aber entscheidende Inspirationsquelle war Arthur Schopenhauers Welt als Wille und Vorstellung (1819). Den »Brennpunkt des Willens« sah Schopenhauer in der Geschlechtsliebe, dem unstillbaren und deshalb ewig leidvollen Drang des Lebens nach sich selbst. Als einziges Heilmittel empfahl der Philosoph die Askese. Da aber musste Wagner ihn korrigieren: Für ihn führt der wahre »Heilsweg zur vollkommenen Beruhigung des Willens durch die Liebe«! Und so können Tristan und Isolde dann auch singen, die »Nacht der Liebe« lösche »des Wähnens Graus / welterlösend aus«.
»Eine Art chromatischen Stöhnens«
Es sind nur wenige Töne, ein Akkord, eine chromatisch steigende Linie. Aber sie haben Musikgeschichte geschrieben: Harmonisch ist der Tristan-Akkord, jener süß und sehnend ins Ohr fallende Klang, kaum zu enträtseln. Er will seine Auflösung in einen anderen Klang, doch die Richtung ist unklar; nur der Wille teilt sich fühlsam mit. Diesen Tönen entspringt nun eine völlig neuartige Musik, »eine Art chromatischen Stöhnens, aber voll dissonierender Akkorde, derengrausame Wirkung durch lange, an die Stelle der wirklichen Harmonienote tretende Vorhalte noch verstärkt wird«. Hector Berlioz, selbst ein großer Neuerer, war darüber gar nicht begeistert. Wie viele andere Kritiker vermisste er Melodie und klare Tonalität. Die grausamen Vorhalte haben jedoch ihren Sinn: Denn diese Art der Liebe ist nicht Harmonie. Sie ist unstillbares Begehren, ein unentwirrbares Geflecht aus Lust und Schmerz, der stete Wechsel von fieberhafter Erregung und nur zeitweilig erfüllter Ruhe. In wenigen Tönen, in der musikalischen Struktur selbst, kristallisiert sich die ganze Idee der Handlung. Leitmotivische Bedeutung kommt ihnen erstmals zu, wo vom magischen Liebestrank die Rede ist.
Ausführlich erklingt die Musik des Vorspiels, als Tristan und Isolde ihn trinken und sich damit gegenseitig verfallen. Das geheimnisvolle harmonische Gebräu symbolisiert damit das metaphysische, rational nicht zu ergründende Wesen der Liebe. Es ist aber auch das Motiv der ewigen, unauflöslichen Sehnsucht. Dazu gesellt sich der warme und innige Gesang der Celli. Er klingt erstmals an, wenn Isolde berichtet, wie sie Tristan töten wollte und es nicht vermochte: »Er sah mir in die Augen.« Allerdings weiß zu diesem Zeitpunkt nur das psychologisch informierte Orchester von der entscheidenden Bedeutung dieses Blickes, bei Isolde schlummert die Liebe noch im Unbewussten. Die aus süßem Dunkel aufsteigende Melodie, auch »Blick-Motiv« genannt, bezeichnet die erwachende und wachsende Liebe. Das ganze Vorspiel entfaltet sich aus diesen beiden Motiven, die sich zunehmend durchdringen, verschlingen und einem ekstatischen Höhepunkt zustreben. Aber der sich aufgipfelnde Bogen bricht vorher zusammen, und die Reprise verebbt in melancholischem Dunkel.
Auflösung des Individuums
Wie keine Ouvertüre zuvor enthält das Tristan-Vorspiel die emotionale Essenz der Oper, in konzentrierter Form, aber auch schon in reichen Nuancen entwickelt. Symphonische Techniken generieren einen kohärenten Prozess der Gefühle. Auch während Tristan und Isolde singen, verläuft die psychische Handlung im Orchester. Es ist ein fortwährendes Spiel von Steigerung und Verzögerung, ein ruheloses Modulieren, eine Polyphonie schmachtender und jubelnder Stimmen, ein Fließen und Stocken in feinsten Übergängen. Über drei lange Akte geht es fast ausschließlich durch die Innenwelt zweier Personen. Aber man kann auch die Abkürzung nehmen. Wagner selbst hat das Vorspiel mit Isoldes Schlussgesang gekoppelt, um dem Publikum einen Vorgeschmack auf das Werk zu bieten, dessen komplette Aufführung sich jahrelang verzögerte. Aufgrund des symphonischen Orchesterparts konnte er sogar die Singstimme weglassen, ohne die Substanz der Musik zu schmälern.
Der Titel Liebestod stammt allerdings aus der Klavierbearbeitung von Franz Liszt, Wagner selbst nannte die Szene »Isoldes Verklärung«. Dramaturgisch steht sie in der Tradition der Wahnsinnsarien (wie etwa Lucia di Lammermoors »Il dolce suono«). Gebeugt über die Leiche Tristans wähnt ihn Isolde im blühenden Leben und gerät in einen Zustand völliger Entrückung. Die Melodie greift eine Stelle im großen Duett des zweiten Aktes auf: »So stürben wir, um ungetrennt, ewig einig, ohne End’«. Ob Isolde nun wirklich stirbt, ist sekundär. Es geht eher um die Auflösung des Individuums, in der Verschmelzung mit dem Geliebten, nach Schopenhauer aber auch im »Schoß der Natur«. Dann erst erlischt die ewig brennende Sehnsucht. Noch einmal gipfelt sich die Musik ekstatisch auf. Jetzt aber, »in des Welt-Atems wehendem All«, findet sie ihr Ziel und entlädt sich, unendlich befreiend, mit einem gleißenden und jubelnden E-Dur-Akkord. Schließlich wird sogar dem Tristan-Akkord seine Auflösung zuteil. Das Orchester verharrt, die Tonart gleichsam transzendierend, im fernen Licht des finalen H-Dur. So tragisch die Geschichte ausgeht (mit drei bis vier Leichen) – musikalisch ist es ein Happy End.