Lebensdaten des Komponisten
9. Juli 1879 in Bologna – 18. April 1936 in Rom
Entstehungszeit
Mai 1923 – Herbst 1924
Uraufführung
14. Dezember 1924 im Augusteo in Rom unter der Leitung von Bernardino Molinari
Das Werk beim BRSO
Erstaufführung: 8./9. Oktober 1987 in der Philharmonie im Gasteig unter Yuri Ahronovitch
Weitere Aufführungen unter Georges Prêtre, Lorin Maazel, Riccardo Muti und Andris Nelsons Zuletzt auf dem Programm: 16./17. Mai 2019 im Herkulessaal unter Mariss Jansons
»Doch wenn ich nach Rom zurückkehre, verschließen sich mir Kopf und Hirn. Keine Note lässt sich herauspressen – nichts.« Nichts also deutete darauf hin, dass Ottorino Respighi, seit 1913 Kompositionsprofessor am Konservatorium Santa Cecilia, von dieser Stadt zu drei Werken inspiriert werden sollte, die ihm Welt- und Nachruhm sicherten. Geplagt von Heimweh nach seiner Vaterstadt Bologna, bedrückte ihn vor allem die Grandiosität, die Rom prunkend zur Schau stellte: Hier müsse das Metermaß »auf beträchtlich mehr als 100 Zentimeter fixiert sein«. Dennoch forderten diese zunächst lähmenden Eindrücke Respighis Kreativität heraus, und gerade die Mischung aus Faszination und Befremden scheint sich in Produktivität ausgezahlt zu haben: Mit den 1916 entstandenen, wohl aber in einer langen »Inkubationszeit« gereiften Fontane di Roma war nicht nur das Eis zwischen ihm und der grandiosen Stadt gebrochen, sondern auch ein neuer Stil entstanden, der Respighis künstlerische Persönlichkeit zu voller Blüte brachte. Mit den Pini di Roma und den Feste Romane (1928) ergänzte er das Werk später zu einer thematisch weit gespannten, sich steigernd aufeinander beziehenden Trilogie.
Unter Mithilfe von Arturo Toscanini, der sich sogleich für Fontane di Roma einsetzte, erzielte erstmals ein italienisches Instrumentalwerk weltweite Popularität. Die jahrhundertealte Vorherrschaft der Oper war damit gebrochen. Bereits in der Blütezeit des »Melodramma« unter dem späten Verdi, als Kritiker mit Begriffen wie »Sinfonismo« oder »Germanismo« unitalienische Umtriebe anprangerten, begeisterte sich eine kleine Schar von Abtrünnigen für Beethoven, Schumann, Liszt und Brahms. Anspruchsvolle Instrumentalmusik entstand bald auch auf italischem Boden, wenngleich zunächst noch unter der Fremdherrschaft teutonischer Einflüsse. Sich davon ganz zu lösen und Italien eine eigene Stimme im Konzert der Moderne zu geben, gelang erst der so genannten »Generazione dell’ Ottanta«, in den achtziger Jahren geborenen Komponisten wie Alfredo Casella und Gianfrancesco Malipiero. Auch wenn der stets von Schulen und Richtungen unabhängige Respighi einen eigenen Weg ins 20. Jahrhundert wählte, indem er zum Beispiel weiterhin Opern schrieb, teilte er doch die Aufbruchsstimmung dieser Generation.
Ausgebildet von Giuseppe Martucci, examierte er natürlich mit einem Instrumentalwerk, den Variazioni sinfoniche, deren frühe Meisterschaft im Juni 1900 für Aufsehen sorgte. Als Mitglied des Stadtorchesters hatte Respighi sodann Gelegenheit, eine ganze Opernsaison in St. Petersburg zu verbringen – und fünf Monate bei Nikolaj Rimskij-Korsakow, dem berühmten Magier des Orchesterklanges, in die Lehre zu gehen.
Klare und lichte Formen
Zu seinem eigenen symphonischen Stil fand Respighi eher spät, im Rückgriff auf die verschiedensten Einflüsse: Dem märchenhaften Orchesterkolorit Russlands, dem feinsinnigen Impressionismus Frankreichs und dem Riesenorchester eines Richard Strauss entzog er ein gleichsam paneuropäisches Klangdestillat, das er mit der sinnlich eingängigen Melodie des »Belcanto« anreicherte und in die klaren und lichten Formen Italiens goss. Im Gegensatz zur einsätzigen Symphonischen Dichtung im Stil von Liszt und Strauss baut sich sein »Poema sinfonico« stets aus vier Sätzen auf, die nahtlos ineinander übergehen, aber motivisch nicht verknüpft sind. Respighi verwendet keine Leitmotive, die sich im Verlauf einer von der »poetischen Idee« vorgegebenen Form entwickeln und transformieren, sondern immer neue Melodien und Klanggestalten, die sich oft scharf voneinander abheben. Damit erteilt er nicht nur dem organischen Denken im Deutschland des 19. Jahrhunderts eine Absage, sondern auch der tiefsinnigen Metaphysik der nordischen Symphonik. Respighi ging es keineswegs darum, bloße Sinneseindrücke zu illustrieren, aber er ließ sich bewusst von äußeren Vorgängen inspirieren, von bildhaften Phantasien, der schillernden Oberfläche der Dinge, um »Wahrheit in klingende Materie« umzusetzen.
Orte von magischer Aura
Wie Liszt, Smetana, Sibelius und andere, die im Rückgriff auf Märchen und Sagen ihrer Heimat auch tönende Nationaldichtung schaffen wollten, verzichtete Respighi nicht auf mythischen Gehalt: Wie schon die römischen Brunnen, sind die vier Orte im Schatten der mächtigen Mittelmeerpflanze Stätten von magischer Aura, die etwas vom jahrhundertealten »Mythos Rom« verkörpern. Davon kündet nicht zuletzt ihre touristische Attraktivität, die sicher mit zur weltweiten Populariät der Pini beigetragen hat. So gelten die riesigen Anlagen um die Villa Borghese mit ihrem Tierpark, Rennbahnen, Denkmälern und Seen als »Roms volkstümlichster Park« – eine gute Kulisse für die Inszenierung des Klischees vom bunten italienischen Volksleben. Und um der Szene der spielenden Kinder ein möglichst »authentisches« Kolorit zu verleihen, verwendete Respighi Kinderlieder, die in Rom tatsächlich seit Jahrhunderten erklingen. Respighis Frau Elsa hatte im Park das kindliche Liedgut selbst studiert, indem sie einzelne Jungen zu sich herrief. Die Tarantella, Trompetensignale, Marschanklänge und Abzählverse verweisen realistisch genau auf das Geschehen, entscheidend ist jedoch die kunstvolle Verarbeitung dieser Versatzstücke vor einer funkelnden Klangkulisse: In mehreren Anläufen formieren sich die Motive zunächst geordnet, laufen dann miteinander, gegeneinander, verkeilen sich und ballen sich zu scharfen Dissonanzen. Dass der lebhafte Reigen dabei allmählich in einen handfesten Tumult ausartet, erscheint unvermeidlich. Ob die Partei mit dem Abzählvers oder diejenige mit der laut und falsch blasenden Trompete gewinnt, lässt der brüske Schnitt, mit dem die Szene endet, allerdings offen …
Auch den nächsten Schauplatz, die Katakomben, legt Respighi genau fest: Nachdem das gleißende Licht vom brütenden Dunkel der tiefsten Streicher schlagartig verschluckt wurde, intonieren Hörner unbekümmert anachronistisch eine »gregorianische« Melodie, die den Hörer ins ferne Mittelalter versetzt. (Zum Studium der Gregorianik, die für sein Schaffen noch eine wichtige Rolle spielen sollte, wurde der Komponist übrigens wieder von seiner Frau angeregt.) Dabei deuten Harmonik und Instrumentation unmissverständlich an, dass die archaischen Klänge aus der Tiefe kommen: Aus den unterirdischen Gemeinschaftsgräbern, wo die frühen Christen in besonderen Kulträumen für die Verstorbenen beteten – und heute sich wohlig schauernde Touristen durchschieben. Gekleidet in die düsteren Quint-Akkorde eines mittelalterlichen »Organum«, erklingt bald auch die Psalmodie der Gemeinde und vermischt sich allmählich mit dem ersten Gesang. Der fiktive Hörer lauscht am Eingang der Katakomben, und ähnlich wie im letzten Satz bleiben die akustischen Eindrücke aus der Ferne der Zeit zunächst diffus und unbestimmt, bis sie mit der Steigerung in immer größerer Klarheit emporsteigen.
Ein glitzerndes Arpeggio und eine »wie im Traum« zu spielende Klarinettenmelodie geleiten nun den Hörer aus dem Dunkel vor ein vollendetes Stimmungsgemälde: Romantisches Melos, impressionistische Farbwerte, ja selbst eine Tonkonserve mit einer echten Nachtigall fließen hier ein, aber das scheinbar eklektische Gemisch fügt sich zur einheitlich bezwingenden Atmosphäre einer lauen, duftigen, mondbeglänzten Sommernacht. Der Gianicolo, von dessen Spazierweg tags die Touristen das prächtige Stadtpanorama genießen, gehört abends den Verliebten, die sich hier traditionell zum Schäferstündchen treffen – heute allerdings ganz unromantisch im Auto. »Vor nächtlichen Streifzügen über den Gianicolo ist abzuraten«, warnt der Reiseführer angesichts der heutigen Jugendszene.
Kein Romreisender wird sich einen Ausflug an die mit antiken Grabstätten gesäumte Via Appia entgehen lassen, einst Hauptschlagader des römischen Reiches und »Königin der Straßen«. Respighi huldigt ihr mit Bombast, aber wer hier nur das faschistische Kunstideal und die marschierenden Schwarzhemden Mussolinis vermutet, dem entgeht der kunstvolle Aufbau der Hörperspektive: Zwei verschiedene Impressionen schieben sich allmählich ineinander. Während schon die tiefen Frequenzen des – harmonisch noch nicht klar definierten – Marsches heranklingen, hört man aus der Nähe, aber wie durch einen Nebel, das Jammern der Trauernden und eine klagende Schalmei. Dann treiben in den Klarinetten Fetzen der Marschmusik heran, die allmählich Konturen gewinnt, bis sich die einzelnen Gruppen von Bläsern, mit altrömischen »Buccinen« in Gestalt von sechs Flügelhörnern, klar und strahlend voneinander abheben. Respighi, der aus Angst vor dem Tod nie einen Friedhof betreten haben soll, hat in dieser Vision, in der noch sein erster Eindruck der »ewigen Stadt« mitschwingt, vielleicht auch einen Triumph des Lebens über den Tod inszenieren wollen.